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Ein Abend Eskalation bei Med & Law

Bei den Med & Law-Partys eskalieren jeden Samstag zukünftige Juristen und Mediziner. Zumindest für einen Abend wollten wir das auch mal sein.

Was machen unsere zukünftigen Ärzte und Rechtsanwälte eigentlich an Wochenenden? Wenn sie Single sind, gehen sie vielleicht ins Chaya Fuera zu den Med & Law-Partys. Dort können sie zeigen, wie viel sie mal verdienen werden, indem sie Grey Goose-Flaschen kaufen, ihre Ralph Lauren Polo-Shirts zur Schau stellen und zu EDM-Remixes von Florence & The Machine eskalieren.

Und nach diesem Abend ist eines völlig klar: Wer wegen Mord angeklagt ist und den besten Verteidiger des Landes braucht oder wer einen Unfall hat und dringend operiert werden muss: Fragt nicht als erstes nach Qualifikationen oder Preis. Fragt, ob der Mensch, der euch jetzt retten soll, früher auf Med & Law-Partys war. Und wenn er ja sagt, dann rennt! Oder lasst euch schnell von den Sanitätern in ein anderes Krankenhaus fahren.

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Nachdem Benji in seinem Facebook-Feed immer wieder Videos von diesen Partys angezeigt wurden und er nicht ganz fassen konnte, was dort abgehen soll, wollte und musste er am eigenen Leib spüren, wie es ist, einmal erfolgreicher Jus-Student zu sein. Alleine wollte er sich das allerdings nicht antun. Also musste Hanna auch mit, denn Frauen haben auf diesen Partys einen besonderen Stellenwert.

Damit uns die Jus-Studenten auch in ihrem Kreis aufnehmen würden, haben wir uns einige alte Event-Fotos angesehen und anhand derer unser Outfit für den Abend gewählt. Als Mann war das ziemlich einfach: Langärmeliges Hemd und Jeans oder ausgeschnittenes Shirt und Jeans reichen eigentlich. Weil ich leider keine Shirts mit flotten Sprüchen wie „Abracadabra…! Nope you’re still a bitch“ besitze, habe ich mich für das Hemd entschieden.

Jus-Benji und -Hanna sind am Sonntag zum Glück an Kater und Übermüdung gestorben.

Hanna hatte einen tiefen Ausschnitt, trug hohe Schuhe und ein bisschen Bling. Wichtigstes Accessoire waren für den Abend aber zwei Flachmänner.

Im Facebook-Event wurden CO2-Guns, ein „Countdown zur Eskalation“ und „pushing the party to the limit“ angekündigt. Außerdem: „Bei Med&Law feiern jeden SAMSTAG Mediziner, Juristen und Ihre Freunde wild, laut und hemmungslos.“

Wir waren so bereit, wie wir halt sein konnten. Kurz vor dem Reingehen sagte jemand noch zu uns: „Passt auf, dass ihr nicht zerlegt werdet.“ OK.

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Benji

Hier ist es schon später, sonst würde Benji nicht tanzen, sondern zwischen 5 Fremden Menschen feststecken.

Nach ausgiebigem Vorglühen waren Hanna und ich bereit für die Eskalation, die uns das Facebook-Event versprochen hat. Weil hier der Mann zahlt, spendierte ich die ersten Drinks. Als ich nach den zwei Minuten an der Bar Hanna suchte, wurde sie bereits von vier Typen belagert. Ich entschied mich dazu, sie ihrem Schicksal zu überlassen und erstmal tanzen zu gehen. Dabei fielen mir sofort einige Dinge auf: Es war viel zu voll.

Tanzen war so gut wie unmöglich, man konnte lediglich versuchen, es nach Tanzen aussehen zu lassen, während man über die gesamte Tanzfläche geschubst wird. Jeder Song wurde nur etwa 30 Sekunden lang angespielt. Das muss wohl an der kurzen Aufmerksamkeitsspanne unserer Generation liegen. Dabei hätte ich so gern noch den Rest von „P.I.M.P.“ gehört. Aber es macht eigentlich eh viel mehr Spaß voll auszuflippen, wenn man den Anfang von einem Song hört, der einem gefällt, als den Song dann auch wirklich zu hören.

Die drei waren sogar sehr super und unverschwitzt, weil sie gerade erst gekommen sind. Es war ihr erstes Mal bei Med & Law. Deswegen ist Benji auch so glücklich.

Es war heiß und manche Typen viel zu verschwitzt. Selbst, wenn man es irgendwie schaffen sollte, selber nicht zu schwitzen, durfte man sich über den Schweiß von manchen freuen, die es mit der Eskalation etwas zu ernst nahmen. Dafür waren die Leute sehr kontaktfreudig. Abgesehen vom ungewollten körperlichen Kontakt, war es kein Problem, mit egal wem über egal was zu reden. Leider war niemand beeindruckt, wenn ich erzählt habe, dass ich gerade mit Jus angefangen habe. Auch mein erster richtiger Anmachspruch kam nicht so gut an. OK, das lag vielleicht daran, dass ich mich von der Heute-Liste der 99 besten Anmachsprüche inspirieren hab lassen und den hier brachte: „Entschuldigung hast du ein Taschentuch? Weil ich hab mich angeschissen, so geil bist du.“ Das Mädchen hat nicht einmal gelacht. Hanna fand das Ganze dafür umso lustiger.

Von den „First Class 360° Visuals” fiel mir lediglich der Timer auf, der auf alle Wände projiziert wurde und den „Countdown zur Eskalation“ zeigte. Als der in der letzten Minute ankam, war ich schon richtig aufgeregt. Immerhin wurde ich den ganzen Abend darauf vorbereitet, endlich zu eskalieren. Also habe ich mich bis ganz vorne durchgekämpft, mein Bier noch geext—das hätte beim Eskalieren nur gestört—und mich mental darauf vorbereitet, den besten Moment meines Lebens zu erleben. In den letzten 10 Sekunden warfen alle schon ihre Hände in die Luft, Luftballons wurden verteilt, Sprühkerzen angezündet und die Schwanzverlängerungen beziehungsweise CO2-Kanonen wurden vorbereitet. Luftballons und Sprühkerzen sehen auf Fotos immer besser aus als in echt, wahrscheinlich sind wir hier auch am Kern der Partys angelangt. Hanna dazu gleich mehr.

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Der eigentliche Countdown war wirklich aufregend. Die eigentliche Eskalation dauerte dann nur ein paar Sekunden. Es regnete Konfetti und die CO2-Kanonen kühlten etwas. Wahrscheinlich haben sie sich mit den Kanonen einfach nur einen coolen Weg überlegt, die ersten zwei Reihen für fünf Sekunden von 50 auf 49 Grad runterzukühlen. Es wurde dann noch zweimal eskaliert und dann ging die Party wieder normal weiter. Freiwillig wollte ich dann aber doch nicht noch recht viel länger bleiben, denn je später es wurde, desto mehr betrunkene Typen und weniger Mädels fand man auf der Tanzfläche.

Sollte ich jemals wieder das Bedürfnis haben, eskalieren zu wollen oder wirklich anfangen Jus zu studieren, überlege ich mir wieder ins Chaya Fuera zu gehen. Jetzt habe ich allerdings erstmal wieder genug davon.

Hanna

Ein Abend bei Med & Law ist ein ständiges Auf und Ab. Die Musik, muss ich zugeben, ist nicht unbedingt die Musik, die ich hören würde. Obwohl zum Beispiel auch sowas wie The Weeknd läuft. Aber während man bei irgendeiner mir unbekannten elektronischen Musik eher schnell zur Bar geht, um überteurte aber dringend notwendige Getränke zu holen, läuft dann plötzlich wieder so etwas wie „ABC“ oder „Hit the Road Jack“!

Das Herz springt kurz in die Luft und man muss beinahe lächeln, aber das passiert einem auch nur wenige Male, jedenfalls, bis man gelernt hat, dass diese Lieder höchstens 30 Sekunden laufen und dann in einem Remix, der nie hätte existieren dürfen enden. Das führt irgendwann dazu, dass man sich am Anfang eines guten Lieds davor fürchten muss, was sich der Mensch, der das Lied Med & Law-tauglich gemacht hat, für den Rest ab Sekunde 30 einfallen lassen hat.

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Aber—Überraschung!—die wenigsten Leute gehen wegen der Musik zu Med & Law. Nach ungefähr 20 Sekunden im Lokal, stand eine Gruppe Typen um mich, mir denen ich über mir nicht mehr bekannte Dinge gesprochen habe, während Benji Alkohol gekauft hat. Einen aus der Runde habe ich später noch einmal gesehen und folgende nette Unterhaltung mit ihm gehabt, die ich noch weiß, weil ich sie mir aufgeschrieben habe:

- Bist du vergeben?
- Nein.
- Single?
- Ja.
- Na dann … (Er bewegt seinen Kopf gefährlich in Richtung meines Kopfes)
- Neeeeeeeeeein!

Dieses Foto zeigt die Frauen-Männer-Ratio ziemlich genau.

Hier wird geschmust, komme was wolle. Oder besser: Hier wird versucht zu schmusen, komme was wolle. Voraussetzungen fast egal, je später es wird, desto egaler sind auch die Voraussetzungen. Ein Typ hat mir erzählt, er sei verheiratet und habe Kinder, aber er habe auch eine Freundin, es hindere ihn also nichts daran, jetzt mit mir rumzuschmusen. Meine meist wirksame Ausrede, ich hätte einen Freund, hat er natürlich nicht gelten lassen. Wir haben trotzdem nicht geschmust.

Mein Lieblingssatz kam an diesem Abend von einem Typen, der sich in der Schlange zum Frauenklo angestellt hat. Ich hab ihm gesagt, dass er wahrscheinlich die andere Schlange sucht, worauf seine Antwort „Sollte ich jemals Multimillionär werden, kauf ich dich“ war.

Auf den Fotos sieht all das toll aus. Viele Fotos von Mädchen in kurzen Kleidern und tiefen Ausschnitten. Wenig Fotos von verschwitzten Typen mit Halbglatze. Man weiß natürlich, wie man diese Party nach außen verkaufen möchte. Hier treffen sich schöne und erfolgreiche Singles, die nach ein paar Flaschen Woldka im VIP-Bereich rumschmusen. Dass 70 Prozent der Anwesenden Männer sind und nicht, wie auf den Fotos, 99 Prozent Frauen, das weiß Mann erst, nachdem er 10 Euro Eintritt bezahlt hat.

Irgendwann wollten wir nicht mehr und haben uns auf dem Heimweg gemacht. An der Garderobe, ich weiß nicht, wie es dazu gekommen ist, hatte ich dann noch eine kurze Diskussion über die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, worauf der Mann an der Garderobe geantwortet hat, dass die ungleiche Bezahlung gerechtfertigt sei, weil Frauen dafür ja Mutterschaftsurlaub bekommen.

Natürlich kann man sich bei Med & Law einen Spaß machen. So wie man es überall sonst auch kann. Aber ich werde in meiner Geldtasche vermutlich eine Karte deponieren, auf der steht: „Wenn Sie jemals bei Med & Law waren, dann möchte ich bitte einen anderen Arzt.“ Für alle Fälle.

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