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Ich bin im 22. Bezirk aufgewachsen und das Fortgehen war...speziell

Warum kein Mensch aus der Stadt zum Fortgehen über die Donau fährt.

Foto via Flickr | weisserstier | CC BY 2.0

Bis ich 22 Jahre alt war, habe ich im 22. Bezirk gewohnt (1 nicer Zufall). Ich bin aber auf eine Schule in der Innenstadt gegangen—meine Mitschüler haben großteils in der Stadt gewohnt. Jemanden aus der Stadt verschlägt es selten über die Donau, deshalb wird diese Gegend von den „wahren Wienern" gern mit einem „Das ist doch gar nicht mehr wirklich Wien" belächelt—diesen wundervollen Teil Wiens kennen die meisten eben nur vom Hören-Sagen.

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Immer wenn ich gefragt wurde, wo ich wohne, war die Antwort: „Egal, ziemlich am Oarsch"—nicht, dass ich es so empfunden hätte, aber die meisten kennen Hirschstetten—den Ort in dem ich aufgewachsen bin—sowieso nicht. Er befindet sich so ziemlich an der Grenze zu Niederösterreich in der Nähe vom Gewerbeprk Stadlau (dort beim IKEA). Tatsächlich habe ich jeden Tag 45 Minuten Lebenszeit geopfert, um zur Schule und später zur Uni zu fahren. Aber ich hatte viel Zeit, um über die wichtigen Dinge des Lebens—wie Oberlippenpiercings oder platinblonde Haare—nachzudenken. Diese zwei Dinge sollten sich später als meine schlimmsten Jugendsünden rausstellen—zumindest was Äußerlichkeiten betrifft.

Für die meisten Menschen gibt es zwei Hauptgründe, in die Donaustadt zu ziehen. Der eine ist, weil die Mietpreise meist billiger sind als in der Stadt. Der andere ist, dass es dort sehr viel Natur gibt—er ist der grünste aller Bezirke—Familien wollen ihren Kindern dort ein gemütliches Aufwachsen zwischen Bäumen und Feldern ermöglichen.

Skyline von Wien I Foto via Flickr I CraXplore I CC by 2.0

Die Klischees, die sich rund um Kagran und die „Ghettos" wie die Großfeldsiedlung ranken, sind leider wahr. Man begegnet dort der Sorte Mensch, die wir aus ATV-Serien wie Nie wieder Single kennen. Aber es gibt auch echt schöne Fleckchen Erde im 22. und viele Akademiker in den Randgegenden—der „Speckgürtel" hat wenig mit Amphetaminien zu zun—so nennt man dort die begüterten Gegenden mit Einfamilienhäusern am Stadtrand.

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Die Donaustadt ist der Bezirk, der die höchste Einwohnerzahl (über 180.000) von allen Wiener Gemeindebezirken hat und deshalb klarerweise recht heterogen ist. Aber fast kein Stadtkind wird freiwillig 45 Minuten am Abend mit der U-Bahn fahren, um im 22. fort zu gehen. Kein Wunder also, dass die Transdanubier eher unter sich bleiben. Es gibt sogar eine eigene FB-Page mit dem klingenden Namen „Ich wohne auf der richtigen Seite (21., 22.)"—mit immerhin knapp 13.000 Mitgliedern. Also noch einmal: Niemand fährt freiwillig, ohne zu verhandeln über die Donau. Das scheint irgendwie eine tiefschürfende geistige Barriere der Städter zu sein.

Foto via Flickr | weisserstier | CC BY 2.0

Ein großes Problem, mit dem man als junger Transdanubier am Wochenende konfrontiert war und vielleicht immer noch ist, ist das Nachhausekommen. Damals gab's noch keine Nacht-U-Bahn und Taxis waren zu teuer für mich als Schülerin. Das resultiert eben darin, dass man entweder in der Nähe, sprich im 22. bleibt, oder selbst mit dem Auto fährt. Beides hat Nachteile—nüchtern bleiben oder eben im 22. fortgehen.

Ein Nightlife in 1220 ist aber definitiv vorhanden. Auch wenn sich die Geschmäcker hier vielleicht unterscheiden, muss man das einfach mal erwähnen. Allein die ehemalige Nachtschicht/Club Couture—also das jetzige Bollwerk und der Tanzpalast—sind Beispiele für Großraumdiskos in der Donaustadt. Auch auf der Donauinsel findet man mehrere kleine Tanzlokale.

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Kagran I Foto von der Autorin

Der 22. Bezirk entstand ursprünglich eigentlich aus mehreren Dörfern, die sich am Rande der Stadt formiert haben. Hirschstetten, Breitenlee, Süßenbrunn, Aspern, Stadlau, Kaisermühlen, Kagran, Essling. Jedes davon hat einen eigenen, alten Ortskern und deshalb auch eine eigene Beislkultur. Der Sinn vom Beisl ist ja, es nicht weit nach Hause zu haben. Weil ich aber nie so erpicht drauf war, in diese Kultur einzutauchen, muss ich mich hier auf die Erzählungen von Freunden stützen.

Die Beisl

Ein gutes Beispiel für ein Donaustädter Beisl ist der Goldene Hirsch in Hirschstetten Ort. Dort versammelt sich die Dorfjugend gemischt mit den älteren Semestern. Es gibt dort Sparverein, Tanzabende und diverse „Live Acts", meistens aus dem Schlager-Metier.

Zwei Mal im Jahr gastieren dort die Mannequins, die so eine Travestie-Show abziehen—die muss man auch einfach mal gesehen haben. Auch so manchen Grätzelpoliker findet man schon ab Mittag dort. Logischerweise geht's hier immer etwas flüssiger zu—die Wiener Kultur lebt dort in seinen dunklen und verrauchten Gemäuern weiter.

Tanzpalast (ehemaliges K3)

Diese Großraumdisko liegt in den Untiefen des Gewerbeparks Stadlau, am Rande der Stadt. Kaum eine Seele verirrt sich dahin. Ich selbst war noch nie dort, weil ich immer nur gehört hab, dass der Altersdurchschnitt so bei 15-16 liegt und die Grundkonversation sich auf „Herst, Oida" und „Oidaiwüdimitdiaham", also extrem besoffen, beschränkt.

Auch diese Location wird immer wieder geschlossen, neu eröffnet und dann wieder geschlossen. Auch jetzt befindet sie sich im Umbau. Hier der Link zu den Partyfotos, damit ihr die Vibes catchen könnt. Ich glaube, das Hauptgeschäft wird dort mit den Einwohnern des Hirschstettner Gemeinde-Plattenbaus neben dem Hirschstettnerteich gemacht. Das wäre eigntlich mal einen eigenen Noisey-Artikel wert.

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Copa Kagrana

Die Copa Kagrana war eine äußerst billige Version der berühmten Copa Cabana und war eine Lokalmeile an der Donau auf der richtigen Seite Wiens. Immer wieder wird sie von Hochwasser überflutet und muss laufend restauriert werden.

Als ich sie fotografieren wollte, musste ich feststellen, dass sie verschwunden ist. Komplett. Anscheinend entsteht hier etwas ganz Neues. Man darf gespannt sein. Im Sommer war sie ein beliebter Vorglüh-Ort der Donaustädter Jugend, denn es gibt ein paar Shisha Lokale und extrem überteuerte Cocktails. Für den Touch of Saint Tropez ist man aber bereit, sein Taschengeld dafür auszugeben und bei einem abgegriffenen Erdnussschälchen von Gelsen gefressen zu werden.

Musikalisch wird man hier von platten HipHop- und R'n'B-Tracks gequält, die im Radio schon 1.000 Mal auf- und abgelaufen sind. Ein paar Tanzlokale wie zum Beispiel das Sansibar sorgen dann für ein Halb-Club-Feeling, weil man keinen Eintritt zahlt—von den DJs daf man sich dafür aber auch nicht so viel erwarten. Als ich einmal dort war, wurde wirklich jeder Übergang versaut.

Donauplex

Foto von der Autorin

Kagrans Nachtperle—eine mögliche Geburtsstätte des gemeinen Krochas. Nach einem langen Umbau, war beziehungsweise ist das Donauplex the place to be für jeden Transdanubier—das eigentliche Zentrum des nächtlichen Lebens. Schon beim Reinkommen fühlt man sich wichtig, weil es so riesig ist.

Dort trifft man alle möglichen Menschen, die ihr Fortgehen auf sich-ansaufen im Western-Restaurant Saloon (1,5 Liter für knapp 19 Euro), Billardspielen im Köö und ansaufen, Gamblen und Geld verwetten im Wettpunkt und ansaufen, beschränken. Auch eine Shishabar und ein großes Kino findet man hier.

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Auf VICE Alps könnt ihr über das Vermächtnis des Krochas lesen

Seit dem Rauchverbot gilt das Donauplex aber als nicht mehr ganz so beliebt. Früher hat sich dort noch alles versammelt was cool war, um beim Griechen mit Billig-Cocktails vorzutrinken, dann gemeinsam in die Nachtschicht/Club Couture zu gehen—der Club befindet sich ja im Gebäude.

Nachtschicht=Club Couture= Bollwerk

Le Bollwerk I Foto von der Autorin

Darüber muss ich euch wohl nicht mehr viel erzählen, ihr kennt die Klischees—und sie sind alle wahr. Braungebrannte Typen mit offenem, türkisem Hemd und kurzröckige, mega aufgestylte und platinblonde Mädels beschreiben das Hauptklientel dieses Clubs, der seinen Namen und Besitzer wechselt, wie Richard Lugner seine Haustiere, ganz gut . Ein typischer Aufreißschuppen eben, die Mädels billig und willig—Stripperinnen tanzen an der Stange—aber nicht nur bezahlte. Sobald das Alkohollevel hoch genug ist, wagen sich auch normale Mädels on Stage.

Ich würde ihn absolut nicht als eine Hochburg für Intellektuelle beschreiben, aber ich habe damals viel Zeit dort verbracht. Einfach, weil es das relativ coolste Etablissement war und ich es nicht mehr weit heim hatte. Und alle meine Freunde aus dem 22. auch meistens dort anzutreffen waren. Wie gesagt, man bleibt ja unter sich. Zu Nachtschichtzeiten war noch alles viel besser. Wenn wir nicht reingekommen sind, weil wir noch viel zu jung waren, wurden wir von den Älteren durchs Hintertürchen reingelassen. Heute ist die Türpolitik um einiges strenger.

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Vienna City Beach Club

VCBC I Foto via Flickr I d26b73 I CC BY 2.0

Der Beach Club, der recht abgeschieden auf der Donauinsel liegt, lockt auch regelmäßig einige Städter an. Dort gibt es nämlich fancy Essen eine riesen Auswahl an Cocktails. Achja und Sand. Eine der wenigen Locations in Wien mit Sand (bald kommt die Pratersauna dazu). Zudem auch noch manchmal gute und laute Musik. Viele Techno und Elektronic-Events, die an schönen Tagen ein riesen Publikum anziehen, weil Open Air und die Möglichkeit zum Baden gegeben ist. Sobald es dunkel wird hat man aber ein Problem, weil die Beleuchtung ziemlich suckt. Wenn viel los ist, ist es also schwer, seine Freunde wiederzufinden.

Cafe Falk

Eine Jahrhunderte alte Institution und das einzige Etablissement im 22., bei dem man rund um die Uhr warmes Essen bekommt. Ein Magnet für alle nachtaktiven Transdanubier, ob jung oder alt. Grundsätzlich gibt es dort österreichische Hausmannskost aber auch Burger und alles, was leiwand is.

Dort treiben sich hauptsächlich Wiener Urgesteine herum und deine Ohren werden mit klingendem Wienerisch verwöhnt. Aber auch hier ist vom Akademiker bis zum Sozialhilfeempfänger alles vertreten. Wer noch nicht richtig gestürzt ist, oder einfach noch ein deftiges Frühstück braucht, um den Alkohol irgendwie aufzusaugen—um das Schlimmste am nächsten Tag noch zu verhindern—findet hier ein warmes Plätzchen und kann sich mit Schlagermusik von Helene Fischer und Rock'n'Roll ins Koma wiegen lassen.

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Straße/ Supermarktparkplatz/ Wiese

Foto via Flickr I In_Zukunft_Wien I CC BY 2.0

Wer angesichts der Distanz, die man zu einem coolen Club zurücklegen müsste, verzweifelt, trifft sich bei Anbruch der Dunkelheit auf die ein oder andere Jazz-Zigarette oder den ein oder anderen Liter Wein an einer Straßenecke, einem Supermarktparkplatz oder auf einer Wiese. 1220, Oida.

Das klingt vielleicht alles nicht so schlimm, aber in punkto Jugendkultur habe ich alles über der Donau eher rückschrittlich und proletoid angehaucht in Erinnerung. Man findet dort tatsächlich noch Relikte aus einer längst vergangenen Zeit: Mädels mit weißen Hosen und Tally-Weijl-Netzshirts. Seit ich vor einem Jahr in den neunten Bezirk umgezogen bin, fühle ich mich wie im siebten Fortgehhimmel.

Ich kann jetzt zu Fuß nach Hause gehen, unterwegs beim Würschtler stehenbleiben und muss mich nicht immer als erste verabschieden, um noch die letzte U-Bahn zu erwischen oder mit dem Auto nüchtern heimzufahren. Vielleicht war's aber doch gut, in einer abgeschiedenen Gegend aufzuwachsen— sonst hätt ich vielleicht mein Studium nicht so schnell geschafft.