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Göläs Wutbürger-Interview—Eine kritische Edition

Der "Büezer-Rocker" gibt im "Blick" seine Meinung zu Burnouts, Studieren und der Masseneinwanderungsinitiative preis. Das nehmen wir auseinander.
Foto: Facebook

Eigentlich sollte kein Mensch unter 30 Gölä kennen oder gut finden. Leider ist aber niemand darum herumgekommen, "Schwan" im Musikunterricht zu trällern und weil das wahrscheinlich auch unsere Kindeskinder noch werden, sinkt der Bekanntheitsgrad des Berners in den nächsten Jahrzehnten wohl nicht. Hits liefert Gölä aber schon lange nicht mehr ab und seine Texte richten sich sowieso an eine konservative Hörerschaft—unlängst leierte der 48-Jährige das SVP-Gedankengut in Interviews immer wieder herunter.

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Nun bietet der SonntagsBlick dem "Büezer-Rocker" mal wieder eine Plattform. Anlass ist die neue Platte von Gölä, die im Oktober erscheinen soll und auf der er zum ersten Mal politische Songs singe. Mit dem Interview stellt Gölä aber nur klar, dass er der berühmteste Wutbürger der Schweiz ist. Hier meine kritische Edition seiner Aussagen.

"Ich kann nicht einfach schweigen und zusehen, wie alles, was wir in unserem Land aufgebaut haben, den Bach runtergeht."

Ich weiss ja nicht in welchem Land Gölä lebt, aber wenn er von "unserem Land" redet, kann er damit nicht die Schweiz meinen, in der ich lebe. Er muss irgendeinen Staat meinen, der nach der Finanzkrise ab 2007 vor dem Bankrott steht, in dem die Jugendarbeitslosigkeit knapp 50 Prozent beträgt oder der gerade Millionen Flüchtlinge aufnimmt (was aus der Sicht von Gölä sicher schlecht wäre). All diese Anzeichen, dass ein Land vor die Hunde geht, treffen nicht auf die Schweiz zu. Unser BIP pro Kopf ist seit der Finanzkrise nicht markant gesunken und betrug nach Hochrechnungen des Bundesamt für Statistik 2015 77.943 Franken pro Kopf, unsere Jugendarbeitslosigkeitsquote gehört mit 3.3 Prozent zu den niedrigsten in Europa und das mit den Flüchtlingen hat Göläs Partei des Vertrauens ja geklärt.

"Gegen Penner habe ich nichts, aber gegen eine Politik, die zulässt, dass die Leute als 'Penner vor dem Denner' enden. Unser System fördert es geradezu, dass junge Menschen das Geld vom Sozialamt erhalten, selbst wenn sie gar nicht krank sind. Und am Schluss hängen viele nur noch herum, trinken Bier und bekiffen sich. Oder sie hocken den ganzen Tag zu Hause und schauen sich dumme Serien an. Das regt mich auf!"

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Auch wenn unser System das fördern würde, tun wir jungen Menschen das nicht. Im Jugendbarometer​ 2015, erhoben von der gfs.bern, sagten 63 Prozent aller befragten Jugendlichen, dass sie nicht einfach nur das Leben geniessen wollen und 77 Prozent wollen eine gute Ausbildung. Und dann, nach getaner Arbeit, öffnen wir uns einfach ein Bier, rauchen einen Joint und schauen uns dumme Serien an—aber auch verdammt schlaue. Die "Penner vor dem Denner' sind einfach die Assis, die in Göläs Assi-Kaff enden.

"Heute kann beispielsweise jeder behaupten, er hätte ein Burnout—und prompt bekommt er Geld und muss nicht mehr arbeiten. Jedes kleine Drama wird dafür missbraucht, vom Staat Geld zu fordern […] (Mein Vorschlag:) Wieder so handeln wie früher: Unterstützung nur noch denen bieten, die wirklich darauf angewiesen sind. Aber sicher nicht mehr all jenen, die einfach behaupten, ein undefinierbares seelisches Problem zu haben, für das es ausser einem Burnout keinen Namen gibt."

Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, in dem der Grossteil der Bevölkerung körperliche Arbeit verrichtet. Wir leben auch nicht mehr im 20. Jahrhundert, in dem psychische Probleme vernachlässigt werden. Von allen Personen, die ich kenne, habe ich nur eine erlebt, die sich mit einem Burnout krankschreiben liess—unfreiwillig und dies nachdem sie fünf Jahre Überstunden gemacht hat, sich den Arsch mehr als alle anderen aufgerissen hat und in eine ausserordentliche Führungsposition aufgestiegen ist—mit Ende 20. Weil ich Statistiken so mag: Seit 2006 sind die IV-Bezüge um rund 10 Prozent gesunken.

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"Ich hatte wahrscheinlich auch schon drei oder vier sogenannte Burnouts, war ständig übermüdet und ausgebrannt. Also änderte ich mein Verhalten—ohne mit der Arbeit aufzuhören und auf Kosten der Allgemeinheit weiterzuleben."

Das freut mich für dich, Gölä, dass du noch nie einen Burnout​ hattest. Du scheinst ein stabiler Synek zu sein und das als Grund zu nehmen, auf andere herabzublicken. Nur weil nicht jeder so stabil ist wie du, heisst das aber noch lange nicht, dass du der einzige bist, der alles richtig macht. PS: Vielleicht hätte dir ein Timeout nicht geschadet, wenn man sich so anschaut, was für einen Stuss du als Promo für deine Platte raushaust.

"Früher schämte man sich, wenn man zum Sozialamt gehen musste. Heute ist es das Normalste der Welt."

Dass wir ein intaktes Sozialsystem haben, bei dem man sich nicht schämen muss, wenn man zum Sozialamt gehen muss, ist doch ein Zeichen dafür, dass wir in einem gesunden Staat leben. Dass man Hilfe braucht, kann nämlich jedem passieren: Dass zum Beispiel das Unternehmen pleite geht, bei dem man arbeitet, dass der Lohn nicht reicht, um über die Runden zu kommen oder um das Kind zu versorgen. Aber es ist noch lange nicht so, dass jeder direkt aufs Sozialamt rennt. 3.2 Prozent aller Schweiz bezogen 2015 Sozialhilfe. Das sind also nicht alle Arbeitslosen (3.3 Prozent) und nicht alle Familien mit Kindern. Nein, das Gegenteil ist eher der Fall: Wie mein Kollege Sebastian in seinem Artikel über Armut in Zürich geschrieben hat, verweigern viele der Betroffenen den Gang zum Sozialdepartement, meist aus Angst vor Stigmatisierung, dem Wunsch nach Unabhängigkeit oder Stolz, wie eine Studie der Universität Fribourg feststellte. Aber in den Medien wird halt meistens über den Ferrari-Fahrenden Einzelfall, der das System ausnutzt, berichtet und das schnappt Gölä als einfacher Mann auf.

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"Mir ist die Politik in der Schweiz viel zu links. Die Bürgerlichen müssen das Heft wieder stärker in die Hand nehmen."

HAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHA! (Gölä hat wohl nicht die Abstimmungen vom Wochenende mitverfolgt und noch nie in unser Parlament geschaut.)

"Die CVP​ ist für mich nicht mehr bürgerlich, sie ist politisch eher auf der linken Seite anzutreffen."

Nur weil die CVP bei der braunen Ausländerpolitik der SVP nicht mitmacht, ist sie noch lange keine linke Partei. In den diesjährigen zwölf nationalen Vorlagen stimmten die Empfehlungen der CVP lediglich drei Mal nicht mit denen von Göläs Lieblingspartei überein. Mit der SP waren die Christdemokraten alleine in der Abstimmung vom vergangenen Wochenende in allen drei nationalen Vorlagen nicht einverstanden.

"(Auf die Frage, warum mehr SVP und FDP regieren sollte): Weil SVP und FDP besser zum arbeitenden Volk schauen. Sie repräsentieren nicht nur die selbst­ernannte Elite wie die Linken. Schauen Sie doch mal die Wähler der SP​ an: Studierte, Pädagogen, Philosophen."

Auch wieder falsch recherchiert, Gölä. Die FDP bezieht zum Beispiel laut den​ Zahlen​ zu den Nationalratswahlen 2015 im Kanton Zürich ihre Hauptwählerschaft aus den Top-Verdienern (knapp 50 Prozent der gesamten Wähler der Partei), hat zusammen mit den Grünen den höchsten Anteil an Wählern mit Hochschulabschluss (knapp 25 Prozent) und spricht von allen Parteien am wenigsten Arbeiter an (knapp 18 Prozent). Die "Arbeiterklasse" wählt SVP, richtig, aber genauso auch SP.

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"Das ganze Bildungssystem (ist das Problem) und kein Lehrer rät seinen Schülern mehr, einen handwerklichen Beruf zu erlernen. All jene, die auf dem Bau oder in einer Metzgerei schuften, gelten in unserer Gesellschaft mittlerweile als weniger wert. […]​ Ich wäre dafür, dass alle, die studieren wollen, zuerst eine Berufslehre machen müssten. Dann würden sie auch verstehen wie es ist, wenn man für wenig Geld hart arbeiten muss."

Ich glaube, Gölä versteht hier zwei Dinge überhaupt nicht: 1. Das Konzept einer Lehre: In einer Lehre verdient man wenig Geld​, weil man gleichzeitig eine Ausbildung erhält, nicht um zu lernen, wie man für wenig Geld hart arbeitet—er würde wahrscheinlich eine kaufmännische Lehre auch nicht als richtige Lehre ansehen. 2. Die Schweiz braucht als Dienstleistungsland nicht nur Handwerker. Für ihn ist der Hochschulweg aber wohl der elitäre Weg und nicht der des "Büezers", und das ist sein Problem. Übrigens: Laut dem Jugendbarometer 2015 sagen ganze 80 Prozent aller Jugendlichen, dass eine Lehre Türöffner für Weiterbildungen sei.

"Okay, bei Ärzten könnte man eine Ausnahme machen. Viele von ihnen opfern sich für die Gesellschaft auf—und arbeiten auch sehr viel."

Ja, wie jetzt? Alle sollen eine Lehre machen, aber doch nicht alle? Der Einzige, der Leute nach ihren Berufen wertet, ist Gölä, nicht die Gesellschaft, wie er in seiner vorherigen Aussage behauptet. "Pädagogen sind weniger Wert als Ärzte, weil die retten ja Leben und Lehrer sind nur elitäre Sozis mit zu vielen Ferien", so und nicht anders denkt Gölä.

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"Die Regierung widersetzt sich dem Willen des Volkes, nur um der EU zu gefallen. […]​ Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung haben die (Masseneinwanderungs-)Initiative angenommen. Trotzdem wird der Volkswille jetzt nicht umgesetzt."

Danke für das Nachplappern der SVP-Propaganda. Die Aufgabe der Regierung ist es, den Volkswillen umzusetzen, richtig. Aber es liegt auch bei ihr, zu prüfen, ob durch die Masseneinwanderungsinitiative​ nicht andere Gesetze oder Verträge gebrochen werden. Und wenn du es mit unserem wichtigsten Handelspartner verspassen willst, dann viel Spass. Mach aus der Schweiz eine Insel, aber erwarte dann nicht, dass du nicht verhungerst, wie ein Schwan, an dessen See niemand mehr kommen mag, um ihn zu füttern.

"Ich freue mich auch auf den Moment, wo es auf der Welt nur noch eine Hautfarbe gibt, weil alle Menschen sich untereinander vermischt haben. Dann können wir endlich den ganzen Rassismus-Mist vergessen. Aber das geht nicht von heute auf morgen, man muss diesem Prozess sehr viel mehr Zeit lassen."

Oder auch: "Ich bin kein Rassist, aber Ausländer in meinem Land will ich nicht."

"Ich bin ehrlich. Und das werden mir nun wieder linke Journalisten und Leser um die Ohren hauen."

Du bist nicht ehrlich, du bist nur ein Wutbürger und das hau ich dir um die Ohren.

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Julian ist kein Wutbürger, auch nicht auf Twitter​.

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